Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie unserer Zeit. Sie verspricht Effizienz, Automatisierung und neue Geschäftsmodelle – doch in der Realität scheitern viele Projekte, bevor sie echten Nutzen entfalten. Studien zeigen: Unternehmen investieren massiv, erzielen aber oft nur minimale Produktivitätsgewinne. Warum ist das so? Die Gründe liegen tiefer, als es die Schlagworte von Datenqualität oder Fachkräftemangel nahelegen. Es geht um ein Zusammenspiel von Hast, Inkompetenz, falschen Erwartungen und fehlenden Strukturen.


Der Hype und seine Folgen

Das Muster ist bekannt: Eine neue Technologie taucht auf, wird medial überhöht und als unverzichtbar dargestellt. Viele Führungskräfte fürchten, den Anschluss zu verpassen, und setzen Projekte hastig um. KI bildet da keine Ausnahme. Laut Roland Berger haben sich die Investitionen in KI von 2023 auf 2024 mehr als versechsfacht. Dennoch haben nur 27 Prozent der Unternehmen KI tatsächlich in ihre Betriebsprozesse integriert. Das Missverhältnis zwischen Geld und Wirkung ist eklatant.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Entscheider lassen sich von Marketingversprechen treiben. KI wird nicht aus einer konkreten Problemstellung heraus eingeführt, sondern als Antwort auf die diffuse Sorge, „etwas zu verpassen“. Ergebnis: Systeme, die keinen echten Mehrwert liefern oder sogar neue Probleme schaffen. Mancher Entwickler bei Amazon vergleicht den KI-Einsatz gar mit Fließbandarbeit – standardisiert, repetitiv, aber keineswegs innovativ.


Ernüchternde Ergebnisse in der Praxis

Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität in den Studien, die im Artikel zitiert werden. Eine Untersuchung in Dänemark, basierend auf 25.000 Beschäftigten, zeigt: Der Einsatz von KI-Chatbots spart im Durchschnitt lediglich drei Prozent Arbeitszeit. Nur eine kleine Minderheit profitiert in Form von Gehaltssteigerungen. Das mag nach Effizienz klingen, liegt aber weit unter dem, was viele Unternehmen erwarten.

Das Beispiel verdeutlicht: KI ist kein Wundermittel, das Geschäftsprozesse automatisch revolutioniert. Ihr Nutzen hängt stark vom Anwendungsfall ab. Während Bereiche wie Coding oder Personalmanagement spürbare Vorteile verzeichnen können, bleibt in vielen anderen Feldern der Effekt marginal. Die Vorstellung, KI sei universell einsetzbar, ist Illusion.


Datenqualität – das Fundament des Erfolgs

Immer wieder wird die Datenqualität als Kernproblem genannt. „Garbage in, garbage out“ – dieses Prinzip gilt für jede Form algorithmischer Systeme, besonders aber für lernende Maschinen. Schlechte Daten führen zwangsläufig zu schlechten Ergebnissen.

Roland Berger fand heraus: Unternehmen, die spezielle Teams für Datenmanagement einrichten, sind deutlich erfolgreicher bei der Umsetzung von KI-Projekten. Das klingt banal, zeigt aber einen entscheidenden Punkt: KI ist nicht primär eine Frage von Algorithmen oder Rechenpower, sondern von Organisation und Infrastruktur.

Ein weiteres Problem: Viele Unternehmen warten auf die „perfekte“ Datenqualität und blockieren sich dadurch selbst. Doch Daten sind nie vollständig oder fehlerfrei. Erfolgreich ist, wer pragmatisch vorgeht und KI auch zur Datenbereinigung selbst einsetzt.


Kompetenzdefizite auf allen Ebenen

Noch gravierender als das Datenproblem ist der Mangel an Kompetenz im Umgang mit KI. Laut einer Gartner-Umfrage attestieren viele CEOs ihren eigenen Führungsteams ein unzureichendes Wissen. Besonders schwach sind die Werte im Personalwesen – gerade dort, wo KI inzwischen häufig zur Bewerberauswahl oder Mitarbeiterverwaltung eingesetzt wird.

Das Problem hat mehrere Ebenen:

  1. Top-Management: Viele Vorstände verstehen die Technologie nicht, treffen aber strategische Entscheidungen darüber.
  2. Mitarbeiter: Beschäftigte sind oft weder geschult noch in der Lage, die Ergebnisse von KI richtig einzuordnen.
  3. Unternehmenskultur: KI wird als Werkzeug „von oben“ eingeführt, ohne dass die Belegschaft Vertrauen entwickelt.

Michael Widowitz von BCG Österreich betont, dass es ohne fundierte Kenntnisse im Management kaum möglich ist, den richtigen Kurs zu setzen. KI erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch die Fähigkeit, Chancen realistisch einzuschätzen und Risiken zu managen.


Fehlende Regeln und überzogene Erwartungen

Ein weiterer Grund für das Scheitern liegt im Mangel an klaren Regeln. Laut Hernstein-Management-Report verfügen nur acht Prozent der Unternehmen über verbindliche Richtlinien für den KI-Einsatz. Das führt zu Unsicherheit – nicht nur rechtlich, sondern auch organisatorisch. Wer darf KI einsetzen, für welche Aufgaben, und wer trägt die Verantwortung bei Fehlern?

Hinzu kommt der Hype-Effekt. Einige ignorieren KI aus Angst oder Desinteresse, andere nutzen sie missbräuchlich – etwa zum Schummeln in Schule oder Studium. Wieder andere treiben den Hype voran, indem sie KI als Lösung für jedes Problem verkaufen. Das Ergebnis ist eine Mischung aus überzogenen Hoffnungen und Frustration, wenn die Realität nicht mithalten kann.


Die Rolle von AI-Agents: Hoffnung mit Vorbehalt

Besonders viel Aufmerksamkeit erhalten derzeit AI-Agents – Softwarelösungen, die eigenständig Aufgaben übernehmen. Beispiele reichen von Patentanwälten bis zu automatisierten Finanzanalysen. Das Capgemini Research Institute schätzt ihr wirtschaftliches Potenzial bis 2028 auf 450 Milliarden Dollar.

Doch auch hier trübt sich die Stimmung: Das Vertrauen in vollständig autonome Agenten ist von 43 auf 27 Prozent gefallen. Gründe sind Datenschutz- und Ethikbedenken sowie fehlende organisatorische Voraussetzungen. Viele Unternehmen verfügen weder über die nötige Infrastruktur noch über ausreichend „datenreife“ Prozesse.

Statt auf autonome Agenten zu setzen, zeichnet sich ein realistischerer Ansatz ab: Mensch-KI-Teams. Über 60 Prozent der Befragten erwarten, dass KI künftig menschliche Fähigkeiten ergänzt, nicht ersetzt. Das ist ein Paradigmenwechsel – weg von der Utopie der „vollautomatisierten Firma“ hin zu hybriden Modellen.


Analyse: Strukturelle Ursachen des Scheiterns

Das Scheitern vieler KI-Projekte lässt sich nicht allein auf Technikprobleme reduzieren. Es handelt sich um strukturelle und kulturelle Defizite:

  • Management by FOMO: Entscheidungen werden aus Angst getroffen, zurückzufallen, nicht aus klarer Strategie.
  • Kompetenzlücken: Führungskräfte und Mitarbeiter sind unzureichend geschult.
  • Unklare Zieldefinitionen: Statt gezielter Use-Cases wird KI als Allzwecklösung behandelt.
  • Organisationsversagen: Fehlendes Datenmanagement und fehlende Richtlinien verhindern nachhaltige Nutzung.
  • Überzogene Erwartungen: KI wird überhöht, Enttäuschungen sind programmiert.

Die Folge: Statt nachhaltigem Wert entsteht kurzfristiger Aktionismus, der Projekte scheitern lässt.


Lehren für die Zukunft

  1. Klare Ziele definieren: Unternehmen müssen präzise festlegen, welchen Zweck eine KI-Lösung erfüllen soll.
  2. Datenmanagement stärken: Ohne saubere und strukturierte Daten ist jeder Algorithmus wertlos.
  3. Kompetenz aufbauen: Schulungen auf allen Ebenen, insbesondere im Management, sind unverzichtbar.
  4. Regeln schaffen: Interne Richtlinien für Transparenz, Ethik und Verantwortung sind notwendig.
  5. Langfristig denken: KI-Projekte sind keine Schnellschüsse, sondern langfristige Transformationsprozesse.

Fazit

Das Versprechen der KI bleibt bestehen: Sie kann Prozesse beschleunigen, Kosten senken und Innovation ermöglichen. Doch der Weg dorthin ist mühsamer, als viele glauben. Der Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern liegt nicht primär in der Technologie selbst, sondern in Daten, Kompetenz, Kultur und Organisation.

Wer KI heute überhastet einführt, riskiert Enttäuschungen und Fehlentscheidungen. Wer sie jedoch systematisch integriert, klare Ziele setzt und die Belegschaft einbindet, kann langfristig profitieren. Die Zukunft gehört nicht den Firmen, die am schnellsten investieren, sondern jenen, die die Technologie am klügsten nutzen.


🔗 Grundlage: Der Standard – Hast und Inkompetenz: Warum scheitern so viele KI-Projekte? (17.08.2025)

Quellen:

  1. LeadDev-Umfrage (2025)
    • Quelle: Entwicklermagazin LeadDev
    • Befragung von IT-Managern zur Rolle von KI in der Softwareentwicklung.
    • Ergebnis: Ein Fünftel der Manager sieht keinen Vorteil durch KI.
    • Link: Golem-Artikel zur LeadDev-Umfrage
  2. Amazon-Entwickler über KI-Einsatz (2025)
    • Quelle: Bericht über Entwickler bei Amazon.
    • Vergleich von KI-Einsatz mit Fließbandarbeit, Kritik an nachlassender Qualität.
    • Link: Golem-Bericht
  3. Studie von Anders Humlum und Emilie Vestergaard (Mai 2025)
    • Basierend auf Daten von 25.000 Angestellten in 7.000 Unternehmen in Dänemark.
    • Ergebnis: KI-Chatbots sparen nur rund 3 % Arbeitszeit, Gehaltsgewinne nur bei 3–7 % der Angestellten.
    • Link: Golem-Zusammenfassung der Studie
  4. Roland Berger-Umfrage (2024/25)
    • Befragung von 150 Führungskräften.
    • Ergebnisse:
      • KI-Investitionen 2023–2024 > sechsfach gestiegen.
      • Nur 27 % haben KI vollständig integriert.
      • Hauptprobleme: Datenqualität (28 %), Integration (25 %), Fachkräftemangel (15 %).
    • Quelle: Roland Berger Strategieberatung*
  5. Gartner-Umfrage (Mai 2025)
  6. Hernstein-Management-Report (2025)
    • Repräsentative Studie unter 1.600 Führungskräften in Österreich und Deutschland.
    • Ergebnisse:
      • 90 % halten KI-Kompetenzen für notwendig.
      • Nur 8 % der Unternehmen haben interne Richtlinien.
    • Quelle: Hernstein Management Report
  7. Capgemini Research Institute (2025)
    • Studie „Rise of agentic AI: How trust is the key to human-AI collaboration“.
    • Schätzung: Potenzial von AI-Agents bis 2028 ca. 450 Mrd. USD.
    • Aber: Vertrauen in autonome Agenten 2024–2025 von 43 % auf 27 % gefallen.
    • Quelle: Capgemini-Report (PDF)

* https://www.mynewsdesk.com/de/rolandberger/pressreleases/roland-berger-studie-trotz-massiver-investitionen-scheitern-viele-unternehmen-an-der-umstellung-ihrer-prozesse-auf-ki-3386186