Nvidia liefert wieder einmal Zahlen, die wie ein Beben durch die Märkte laufen: 57 Milliarden Dollar Umsatz im Quartal, plus 62 Prozent zum Vorjahr, rund 32 Milliarden Dollar Gewinn (75 % Bruttogewinnmarge) – und ein Ausblick auf 65 Milliarden Dollar für das nächste Quartal. Die Aktie springt daraufhin deutlich, zieht andere Chipwerte und Big-Tech-Konzerne mit – und beruhigt vorerst jene, die schon vom Ende des KI-Booms sprechen. (Axios)

Wenn ein einzelnes Unternehmen so viel Indexgewicht, Stimmung und Investitionsentscheidungen bündelt, stellt sich zwangsläufig die Frage: Entsteht hier ein KI-Klumpenrisiko?

Bekanntermaßen ist ja die Rendite die Kehrseite des Risikos – also der Abweichungspotentiale: wie die Medien berichten, ist das im Techmarkt  beträchtlich. Dieser Zusammenhang stellt die Menschen immer wieder vor große kognitive Herausforderungen: sie können viel gewinnen und dann auch schnell wieder verlieren.

Die Verhaltenslehre zeigt, dass Anleger Marktstress nur mithilfe von Heuristiken und mit der Tendenz zu systematischen Verzerrungen aushalten. In solchen Phasen stellt sich die Frage: Soll man verkaufen, weil alle verkaufen – oder durchhalten? Besonders tückisch ist die Verlustaversion. Sie beschreibt, dass Verluste psychologisch stärker schmerzen als Gewinne erfreuen. Dieser Schmerz führt jedoch nicht zu stoischer Geduld, sondern häufig zum falschen Verkaufen: Man hält zu lange fest, hofft auf Besserung – und steigt dann genau in der Phase aus, in der die Panik am größten ist.

Was uns wieder zu der aktuellen Diskussion über die KI-Blase führt: Die Medien berichten darüber, weil alle Panik und Stimmungsmache Klicks bringen und Anleger in ungute Gefühlslagen bringen (ein sich verstärkender Prozess), wobei die Dynamik der Entwicklungen kaum Vorhersagemöglichkeiten bietet, außer zu behaupten die Blase platzt bald (Großinvestor Thiel hat ja auch schon sich aus Nvidia zurückgezogen etc.) oder darauf zu verweisen, dass die fundamentalen Daten stimmig sind und es schon nicht so schlimm werden dürfte. [1]

Marktkonzentration als systemisches Risiko

Zurück zu Nvidia: Nvidia ist inzwischen das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt, mit einem Börsenwert von rund 4,5 bis 5 Billionen Dollar und einem hohen einstelligen Prozentanteil am S&P 500. (Axios)

Das bedeutet:

  • Jeder, der „breit“ per ETF in MSCI Aktien investiert, ist mit rd. 6 % in Nvidia investiert [2]
  • Themen- und KI-Fonds sind oft noch stärker konzentriert.
  • Die Aktivität in den Options- und Derivatemärkten ist bei Nvidia außergewöhnlich hoch — viele Marktteilnehmer nutzen die Aktie inzwischen als zentralen Hebel für Spekulation, Absicherung und Positionssteuerung.

Fällt Nvidia deutlich, fällt nicht „nur“ ein Einzeltitel, sondern ein beträchtlicher Teil der vermeintlich diversifizierten Weltportfolios. Das ist das klassische Muster eines Klumpenrisikos im Kapitalmarkt.

Realwirtschaftlicher KI-Boom mit engen Flaschenhälsen

Gleichzeitig ist Nvidia längst nicht mehr nur ein Börsenphänomen, sondern die zentrale Engpassressource der KI-Ökonomie. Über 50 Milliarden Dollar stammen inzwischen aus dem Datacenter-Geschäft, getrieben von KI-GPUs für Cloudprovider und Rechenzentren. (Reuters)

Damit konzentriert sich ein globaler Investitionszyklus – Rechenzentren, Glasfaser, Strominfrastruktur – auf eine Wertschöpfungsstufe und im Kern auf einen Anbieter.

Blase oder notwendige Infrastruktur?

Skeptiker verweisen darauf, dass Hedgefonds und einige prominente Tech-Investoren inzwischen Wetten gegen Teile des KI-Sektors eingehen oder zumindest Kasse machen. Sie argumentieren, dass der enorme Capex-Boom der Cloudanbieter nicht dauerhaft dieses Niveau halten kann und teils über aggressive Bilanzierung (lange Abschreibungsdauern für GPUs) gestützt wird. (Reuters)

Befürworter halten dagegen: Anders als in der Dotcom-Blase produziert Nvidia heute reale Cashflows mit extrem hohen Margen, und KI-Anwendungen dringen nach und nach in viele Branchen vor. Die aktuelle Welle sei weniger eine Luftnummer, sondern eher der Aufbau einer neuen Basistechnologie – vergleichbar mit Elektrifizierung oder dem Internet.

Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen: Die Infrastruktur ist real und bleibt. Aber der heutige Preis, zu dem Investoren sich dieses Wachstum einkaufen, ist alles andere als risikolos, wobei uns bewusst ist, dass dies nur eine Behelfsbetrachtung sein kann.

Was heißt das für Anleger und Politik?

Für Anleger bedeutet das:

  • Diversifikation ernst nehmen und nicht davon ausgehen, dass ein MSCI- oder S&P-ETF automatisch klumpenfrei ist. Hier empfiehlt es sich, den Focus auch wieder stärker auf Europa zu legen.
  • KI-Engagement breiter aufstellen (Chips, Software, Anwendungen, Energie, Infrastruktur) statt alles auf einen GPU-Champion zu setzen.

Für die Wirtschaftspolitik – insbesondere in Europa – stellt sich eine andere Frage: Wollen wir eine KI-Infrastruktur, die technologisch und geopolitisch im Kern an einen US-Anbieter gekoppelt ist? Oder nutzen wir den aktuellen Boom, um eigene Kompetenzen in Chips, Rechenzentren und Energieversorgung aufzubauen?

Nvidia ist ein beeindruckendes Erfolgsmodell. Gerade deshalb sollte man die entstehende Abhängigkeit nüchtern als Klumpenrisiko begreifen – und rechtzeitig dafür sorgen, dass die KI-Zukunft nicht an einem einzigen Unternehmen hängt.


[1] Hier eine Hintergrundanalyse: https://blog.meisnerconsult.de/2025/11/03/die-grosse-ki-blase-zwischen-infrastrukturrausch-und-bewertungsillusion/

[2] https://www.msci.com/documents/10199/178e6643-6ae6-47b9-82be-e1fc565ededb  und im Factsheet ist für den MSCI World angegeben, dass NVIDIA einen Anteil von etwa 6,01 % hat. MSCI  Ein ETF, der den MSCI World abbildet (z. B. iShares Core MSCI World UCITS ETF) zeigt für NVIDIA einen Anteil von 5,63 %. JustETF+1

  Damit ist klar: Wer „global breit“ investiert über den MSCI World, trägt allein durch NVIDIA bereits einen Gewicht von rund 5 % bis 6 % mit.   Zugleich: Die Top 10 Werte sind Techwerte im Index und haben etwa ein Gewicht von ~27 %