Ein Blogbeitrag zur Fehlentwicklung eines zentralen Zukunftsfeldes


Während künstliche Intelligenz (KI) weltweit als Gamechanger in Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert wird, scheint der deutsche Arbeitsmarkt weitgehend unberührt von diesem Hype zu bleiben. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung und des Instituts der Deutschen Wirtschaft zeigt: Trotz der technologischen Dynamik bleibt die Nachfrage nach KI-Expertise in Deutschland ernüchternd niedrig.

Was auf den ersten Blick paradox erscheint – KI als Schlüsselfaktor der Digitalisierung ohne passenden Personalbedarf – verweist auf ein tieferes Strukturproblem. Es geht nicht nur um fehlende Stellenanzeigen, sondern um ein Missverhältnis zwischen Technologieversprechen, wirtschaftlicher Realität und politischer Infrastruktur.


Der Befund: Stagnation trotz Zukunftstechnologie

Die Analyse basiert auf rund 60 Millionen Online-Stellenanzeigen aus den Jahren 2019 bis 2024. Ihr zentrales Ergebnis: Seit 2022 stagniert der Anteil der KI-bezogenen Jobangebote bei gerade einmal 1,5 % – trotz steigender Relevanz von KI-Anwendungen und wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit.

Selbst im Vergleich zu anderen Wachstumsfeldern wie der Energiewende (mit 3,8 % der Anzeigen) bleibt KI überraschend zurück. Besonders ernüchternd ist dabei: Die absolute Zahl von KI-Stellen ist zuletzt leicht rückläufig – nicht trotz, sondern offenbar wegen des konjunkturellen Abschwungs. Dabei gelten KI-Systeme doch gerade als Hebel zur Effizienzsteigerung.


Regionale Schieflage: München leuchtet, das Land bleibt dunkel

Die räumliche Verteilung der KI-Jobs macht das Problem plastisch: In Städten wie München (4,5 %), Karlsruhe oder dem Landkreis Böblingen sind KI-Stellen relativ stark vertreten – meist getrieben durch Nähe zur Automobilindustrie, Technologiekonzerne oder Forschungsinstitute.

Doch in mehr als der Hälfte der deutschen Landkreise spielt KI im Arbeitsmarkt keine messbare Rolle. Ein Grund: Die mangelnde digitale Infrastruktur. Ohne leistungsfähige Glasfaseranschlüsse und Rechenzentren können datenintensive Anwendungen nicht sinnvoll implementiert werden. Das „digitale Niemandsland“ bremst den technologischen Fortschritt aus – und damit auch die Nachfrage nach Fachpersonal.


Nachfrage ja – aber nach den Falschen?

Wenn KI-Jobs ausgeschrieben werden, dann fast ausschließlich für hochqualifizierte Entwickler mit Kenntnissen in Machine Learning oder Large Language Models. Es fehlt an Stellen für Anwender, Trainer, Ethikberater oder KI-gestützte Prozessmanager – obwohl genau diese Rollen nötig wären, um KI in den Arbeitsalltag zu integrieren.

Das legt den Verdacht nahe: Viele Unternehmen verstehen KI noch immer als Forschungsdomäne, nicht als Werkzeug für Geschäftsprozesse. Die Idee, dass KI ähnlich alltagsrelevant werden könnte wie heute Excel oder ERP-Systeme, scheint in vielen Vorstandsetagen noch nicht angekommen zu sein.


Was läuft hier schief?

  1. Technologieverständnis fehlt auf Entscheiderebene
    Statt strategischer Integration dominiert Verunsicherung. Führungskräfte delegieren das Thema an externe Beratungen oder verfallen in Aktionismus („Wir brauchen jetzt auch eine KI!“), ohne den operativen Mehrwert zu kennen.
  2. Falsche Infrastrukturprioritäten
    Während in Sonntagsreden die digitale Transformation beschworen wird, fehlt es vor Ort oft an Basisinfrastruktur – besonders in ländlichen Räumen. KI braucht Daten, Rechenleistung und Netze – doch vielerorts wird immer noch über Funklöcher diskutiert.
  3. Unklarer Kompetenzbegriff
    Der Begriff „KI-Experte“ ist nicht geschützt und wird inflationär verwendet – vom Prompt-Engineer bis zum LLM-Architekten. Das erschwert die zielgerichtete Ausbildung und untergräbt das Vertrauen in tatsächliche Kompetenz.
  4. Fehlende politische Rahmung
    Während die EU ambitionierte KI-Gesetzgebung auf den Weg bringt (AI Act), fehlt in Deutschland eine nationale KI-Strategie mit klarer Umsetzungsagenda, Förderprogrammen für KMU und einem systematischen Kompetenzaufbau an Schulen und Hochschulen.

Was müsste geschehen?

  • Dezentralisierung der KI-Entwicklung: KI darf kein elitäres Stadtphänomen bleiben. Es braucht Reallabore, kommunale Förderprogramme und lokale KI-Zentren auch jenseits der Metropolregionen.
  • Schulterschluss von Unternehmen und Bildungssektor: Statt Informatik allein zu fördern, sollte ein KI-Basiswissen in allen Ausbildungsgängen verankert werden – ähnlich wie heute Office-Kompetenz.
  • Neudefinition von KI-Kompetenzprofilen: Nicht jeder Betrieb braucht TensorFlow-Entwickler – wohl aber Menschen, die KI sicher anwenden, kritisch bewerten und mit Geschäftsprozessen verknüpfen können.
  • Förderung statt nur Regulierung: Die Balance zwischen Ethik, Innovation und Markt braucht auch wirtschaftliche Anreize. Ein KI-Förderfonds für KMU wäre ein sinnvoller Anfang.

Fazit: Der KI-Boom bleibt in Deutschland bisher ein Papiertiger

Die Zahlen der Bertelsmann-Studie zeigen, dass Deutschland Gefahr läuft, sich von der technologischen Realität abzukoppeln – nicht, weil es an Talenten fehlt, sondern weil der politisch-wirtschaftliche Rahmen fehlt, sie produktiv einzusetzen.

Der KI-Boom ist real – aber seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Durchdringung ist in Deutschland bislang ausgeblieben. Wer das ändern will, muss mehr als über Chancen sprechen – er muss sie strukturell ermöglichen.


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