Alle reden von KI und nehmen dies nur als Hype wahr. Wer intensiv darüber nachdenkt, was dieser Hype langfristig auslösen wird, der wird stärker beunruhigt sein, was die Grundfesten unserer Wirtschaft und Gesellschaft betrifft.

Beispiele: im März 2024 verlor Thomas K., ein 43-jähriger Steuerberater aus Köln, überraschend seinen Job. Seine Kanzlei hatte binnen weniger Monate eine generative KI eingeführt, die nicht nur einfache Steuererklärungen erledigt, sondern auch Mandanten digital berät – rund um die Uhr. Weiterbildung? Fehlanzeige. Unterstützung? Kaum. Thomas steht für eine wachsende Gruppe von Menschen, deren Arbeitswelt sich schneller verändert, als Institutionen reagieren.

In einer Machine Learning – Blockchain – Veranstaltung Anfang Mai 25 in den USA führte ein Experte aus, dass es in Zukunft zugespitzt 1 Mrd. Softwareentwickler geben könnte – die jetzigen werden dann so nicht mehr benötigt (also es ist nicht anzunehmen, dass ein Achtel der Menschheit Code entwickeln wird – aber es könnte mit Gen. KI jeder tun).

Künstliche Intelligenz verändert die Grundfesten der Wirtschaft – schneller und tiefgreifender als jede technologische Revolution zuvor. Und doch bleibt die gesellschaftliche Reaktion erstaunlich passiv. Es ist eine historische Umwälzung – und viele Akteure hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommt.


1. Die Dynamik: Vom Labor zur Realität in Rekordzeit

Noch vor zwei Jahren war „ChatGPT“ ein Nischenbegriff. Heute schreiben Millionen Menschen täglich Texte mit KI, generieren Präsentationen, entwerfen Software oder analysieren Daten – in Sekunden. Systeme wie GPT-4, Gemini, Claude oder Sora verändern bereits jetzt die Art, wie gearbeitet, gelernt und produziert wird.

In der Industrie steuern KI-gestützte Roboter ganze Fertigungsprozesse. „Dunkle Fabriken“, die ohne menschliche Arbeitskraft auskommen, sind keine Science-Fiction mehr – sondern Teil globaler Lieferketten. Auch in der kreativen Branche verdrängen KI-generierte Bilder, Texte und Musik menschliche Leistungen.


2. Systemische Trägheit: Warum die Reaktion ausbleibt

Weshalb reagiert die Politik nicht entschiedener? Drei systemische Gründe sind zentral:

  • Politische Kurzsichtigkeit: Legislaturperioden sind zu kurz für langfristige Strategie. KI-Bildung und Sozialreformen bringen keine schnellen Wählerstimmen.
  • Institutionelle Überforderung: Bildungsföderalismus, Fachkräftemangel und analoge Verwaltung blockieren zukunftsorientierte Reformen.
  • Öffentliche Beruhigungsnarrative: Medien fokussieren oft auf Einzelphänomene (Chatbots, KI-Bilder), nicht auf strukturelle Risiken. Das erzeugt trügerische Sicherheit.

Die Gefahr liegt nicht nur in der Technologie selbst, sondern in der Reaktionsverzögerung.


3. Kapital profitiert – Arbeit verliert

Ökonomisch betrachtet, zeigt sich hier eine radikale Verschiebung:
Der Kapitaleinsatz steigt, weil Maschinen und Algorithmen genutzt werden. Gleichzeitig sinkt die Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft – und damit der Lohnquote in der Wertschöpfung.

Thomas Piketty und andere Ökonomen sprechen von einer kapitaldominierten Ökonomie. KI wirkt hier als Beschleuniger: Wer Rechenleistung, Daten und geistiges Eigentum kontrolliert, wird in der kommenden Ökonomie den Ertrag abschöpfen. Arbeit wird zur Verfügungsmasse – austauschbar, automatisierbar, entwertet.

Ein Blick auf die Verteilungssituation in Deutschland zeigt das Dilemma: Bereits heute besitzt das reichste 1 % rund 35% des Nettovermögens, während die untere Hälfte der Bevölkerung zusammen weniger als 3% hält (1). Kapitalerträge wie Dividenden, Mieten und Zinsen fließen somit fast ausschließlich an eine kleine Minderheit – und genau diese Einkommensquelle wird durch Automatisierung und KI weiter gestärkt. Wer Maschinen und Kapital besitzt, profitiert, wer seine Arbeitskraft einsetzt, wird vielleicht das Nachsehen haben.


4. Was zu tun ist: Bildung, Verteilung, Sozialvertrag

Die Frage ist nicht ob, sondern wie auf den Umbruch reagiert wird. Vorschläge liegen seit Jahren auf dem Tisch – es mangelt nicht an Ideen, sondern an politischem Mut:

  • Bildung muss radikal digitalisiert und flexibilisiert werden: statt Einmal-Ausbildung – lebenslanges Lernen.
  • Umschulungsoffensiven statt Projektförderungen: systematisch, zugänglich, staatlich finanziert.
  • Neue soziale Sicherungssysteme: Teilweise Grundeinkommen, Erwerbsfonds, KI-Dividende – statt Arbeitslosigkeit verwalten, Perspektiven schaffen.
  • Unternehmen müssen menschenzentrierte KI implementieren: Synergien zwischen Mensch und Maschine, nicht bloßer Ersatz.
  • Die Arbeitnehmer müssen an den Erträgen ihrer Firmen stärker beteiligt werden.

Fazit: Nicht die KI ist das Problem – unser Zögern ist es

Die technologische Entwicklung ist nicht aufzuhalten – aber ihre Folgen sind gestaltbar. Die Gesellschaft hat die Wahl: Entweder wird die Gestaltung den Marktkräften überlassen, die allein Kapitalrendite honorieren – oder sie setzt neue Prioritäten. Bildung, Teilhabe, Fairness.

Die Geschichte der Industrialisierung lehrt: Der Wandel kommt – aber ob er gerecht wird, hängt von uns allen ab.


Quellen:

  1.  Deutsche Bundesbank (2023): Household Finance and Consumption Survey – HFCS Deutschland.