Die Debatte über die AfD wird in Deutschland meist politisch geführt. Ökonomisch betrachtet stellt sich jedoch eine nüchterne Frage: Wie wirkt wahrgenommene politische Instabilität auf Investitionen, Fachkräfte und Standortentscheidungen – speziell in ostdeutschen Bundesländern? Internationale Evidenz legt nahe, dass Unsicherheit Investitionen verzögert, Risikoprämien erhöht und Talente abschreckt. Für Ostdeutschland zeigen aktuelle Unternehmensumfragen und sozialwissenschaftliche Analysen ein sich verdichtendes Risikobild: mehr Skepsis in der Wirtschaft, Talente meiden die Region eher, und Unternehmen prüfen Ausweichoptionen. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))

1) Was Unternehmen heute tatsächlich berichten

Eine vielzitierte Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt: Unternehmen – in Ost wie West – verbinden mit der AfD vor allem Risiken. Eindeutige Unterstützer sind eine sehr kleine Minderheit; weitaus mehr Firmen positionieren sich ablehnend – öffentlich oder intern. In Ostdeutschland ist die Skepsis zwar heterogener als im Westen, aber klar überwiegend. Das schärft den Befund: Aus Sicht der Betriebe wächst das Standortrisiko (Institut der deutschen Wirtschaft (IW)).

Hintergrund dieser Skepsis sind drei wirtschaftlich relevante Konfliktfelder zwischen AfD-Positionen und Unternehmensinteressen:

  • Euro & EU-Binnenmarkt: Die AfD stellt die europäische Integration, den Euro und Teile des EU-Binnenmarkts infrage. Für exportorientierte Unternehmen – auch mittelständische – zählt jedoch der freie Zugang zu EU-Märkten. Ein Rückbau europäischer Kooperation würde Handel verteuern, Lieferketten destabilisieren und Investitionssicherheit reduzieren.
  • Migration & Fachkräfteversorgung: Während die AfD Migration weitgehend begrenzen will, hat sich der Großteil der deutschen Wirtschaft – insbesondere in Ostdeutschland – längst abhängig gemacht von internationaler Rekrutierung. Ohne Zuwanderung wäre das Arbeitskräfteangebot in vielen Regionen nicht aufrechtzuerhalten. Ein faktischer Einwanderungsstopp wäre für Betriebe ein unmittelbares Wachstums- und Produktivitätsrisiko.
  • Marktwirtschaft & internationale Offenheit: Die AfD vertritt wirtschaftspolitische Positionen, die teils protektionistisch und staatsinterventionistisch ausgerichtet sind. Unternehmen befürchten Einschränkungen von Wettbewerb, staatliche Einflussnahme sowie Handelsspannungen gegenüber Partnern und Investoren. Für kapitalintensive Branchen ist das ein zentrales Investitionshemmnis.

Die IW-Studie „Germany still divided?“ bündelt dies: Verbände und Unternehmen sehen beim Erstarken der AfD vor allem politische Risiken – verbunden mit ökonomischen Folgewirkungen wie geringerer Rechtssicherheit, schlechterer Planbarkeit und wachsender Unsicherheit in EU-Regulierungsfragen. Für Investitionsentscheidungen zählt jedoch genau diese Planbarkeit. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

2) Mechanismus: Wie Unsicherheit zu Abwanderungstendenzen führt

Der ökonomische Mechanismus ist dreistufig:

  1. Erwartungen: Wahrgenommene politische Instabilität erhöht Risikoaufschläge (Kapital wird teurer) und senkt den erwarteten Ertrag, weil rechtlich-regulatorische Pfade unsicherer erscheinen.
  2. Matching am Arbeitsmarkt: Talente – insbesondere internationale Fachkräfte – meiden „Risikoregionen“, was Rekrutierung verteuert und Innovation bremst.
  3. Optionen sichern: Unternehmen prüfen Alternativstandorte (Zweitbüros, Holding-Sitz, Shared Services) – zuerst diskret, dann schrittweise mit Verlagerungseffekten.

Diese Kausalkette wird in der deutschen Debatte selten explizit zum Ausdruck gebracht – die Bausteine sind jedoch belegt: Talentmeidung bei negativem Standortimage sowie die zunehmend negative Wahrnehmung politischer Risiken durch Unternehmen. (FAZ.NET)

3) Frühindikatoren: Wahrnehmung kippt, Talente zögern

Aus arbeitsmarkt- und migrationsökonomischer Sicht ist die Talentmobilität der kritischste Indikator. Die FAZ fasst bereits 2023 zusammen, dass Regionen mit starker AfD-Präsenz an Attraktivität für Fachkräfte und Investoren verlieren – ein Signal, das Personalabteilungen unmittelbar spüren (Ablehnungen, abgebrochene Prozesse, schwächere Bewerberpools). Das ist keine Moralfrage, sondern eine Risikoabwägung internationaler Talente und Kapitalgeber. (FAZ.NET)

Die DeZIM-Studie analysiert, wie der AfD-Aufstieg Ablehnung, Angst und Abwanderungsabsichten triggert. Das betrifft nicht nur Zugewanderte, sondern auch mobile inländische Gruppen. Solche Einstellungen sind frühe Marker – sie gehen harten Wanderungsdaten zeitlich voraus. (dezim-institut.de)

Auch die öffentliche Berichterstattung verweist auf abwanderungsgetriebene Demografie Probleme im Osten und ordnet neue Befunde zu Abwanderungsplänen in AfD-Hochburgen ein. Für Unternehmensentscheidungen ist relevant: Wo Bevölkerung und Talente wegdriften, steigen Lohnkosten relativ (für rare Skills) und sinkt die Wettbewerbsfähigkeit. (Deutschlandfunk)

4) Standortfolgen: Investitionsrisiko und Produktivitätsbremse

Wenn politisch bedingte Unsicherheit die Talentbasis ausdünnt und das Image belastet, entstehen zwei ökonomische Konsequenzen:

  • Investitionsaufschub/-verlagerung: Projekte werden verschoben oder an Standorte mit stabilerer Erwartung verlagert.
  • Produktivitätseffekte: Fehlende Fachkräfte und steigende Such-/Recruitingkosten drücken Wachstums- und Innovationsraten.

Die IW-Analysen zum Ost-West-Vergleich unterstreichen, dass Innovations- und Digitalisierungsdefizite im Osten die Anfälligkeit erhöhen: Wenn das Fundament dünner ist, wirkt zusätzlicher Unsicherheitsdruck stärker. Die Lücke bei Investitionen und forschungsstarken Firmen bleibt zentral.

5) Unternehmenspraxis: „Leise Verlagerung“ statt großer Ankündigung

Es wäre ökonomisch rational, sich Optionen zu sichern: Zweitstandort im Westen (z. B. NRW), rechtliche Sitzverlagerung (Holding), Shared-Service-Center in Ballungsräumen mit größerem Talentpool, Recruiting-Hub außerhalb der Risikoregion. In der öffentlichen Berichterstattung taucht dies selten als „Flucht“ auf; es firmiert als Expansion oder Effizienzprojekt. Branchenberichte und Wirtschaftspresse deuten auf vermehrte Alternativstandort-Prüfungen hin – ein Muster, das vor sichtbaren Abwanderungszahlen einsetzt. (FAZ.NET)

6) NRW als „Sicherheitsstandort“ – ökonomisch begründet

Nordrhein-Westfalen bietet für solche Absicherungsschritte harte Standortvorteile: dichtester Talentpool, diversifizierte Cluster (Chemie, Maschinenbau, Logistik, Energie), starke Förder- und Finanzierungsinfrastruktur (NRW.BANK), exzellente Vernetzung in EU-Märkte. In Situationen erhöhter politischer Unsicherheit wirkt diese Kombination wie eine Versicherung gegen operative und HR-Risiken.

7) Grenzen der Evidenz – und warum das Ergebnis trotzdem robust ist

Was die Daten (noch) nicht leisten: Einen exakten Kausalnachweis, dass jede beobachtete Verlagerung primär durch AfD-Politik ausgelöst wurde. Unternehmensentscheidungen sind multifaktoriell (Energiepreise, Löhne, Lieferketten, Demografie). Was sie leisten: Sie zeigen konsistente Indizienketten – erhöhte politische Unsicherheit → negative Unternehmenswahrnehmung → Talentmeidung → Prüfungen von Alternativstandorten. Genau dafür liefern die IW-Befragungen und die DeZIM-Analyse belastbare Mosaiksteine; journalistische Einordnungen (FAZ) spiegeln, wie diese Signale in HR-/Investor-Praxis ankommen. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))

8) Ökonomische Bewertung

Für Mittelständler und Investoren ist die Schlussfolgerung bedeutsam:

  • Risikomanagement: Politische Instabilität gehört ins Standort-Risikoregister, inklusive Frühindikatoren (HR-KPIs, Bewerberquoten, Bankenscoring, Förderzugänge).
  • Optionen: Neue Standorte in Westdeutschland als Absicherung (Zweitstandort, Holding, Shared Services) – nicht als Signal politischer Positionierung, sondern als ökonomische Portfolio-Logik.
  • Kommunikation: Neutraler, faktenbasierter Duktus („Expansions-/Effizienzprogramm“) verhindert Reputationsschäden und hält Kredit- und Förderkanäle offen.

Fazit

Politische Instabilität ist ein ökonomischer Faktor. In Ostdeutschland verdichten sich Hinweise, dass das Risiko wächst – mit der AfD als wesentlichem Treiber der Wahrnehmung. Unternehmen reagieren rational: Sie sichern Optionen, sie orientieren Recruiting und Strukturen in Richtung größerer, stabilerer Arbeitsmärkte. Wer jetzt professionell vorsorgt, reduziert die Wahrscheinlichkeit teurer Notverlagerungen – und stabilisiert Wertschöpfung. (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))


Quellen (Auswahl)

  • IW Köln, „Auch ostdeutsche Firmen sehen die AfD skeptisch“ (Pressemitteilung, 17.08.2024). (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
  • IW Köln / WZB, „Germany still divided? Die Sicht der Unternehmen auf die AfD…“ (Working Paper / PDF, Aug 2024). (EconStor)
  • IW Köln, „Germany still divided?“ (Webseite zur Studie, 17.08.2024). (Institut der deutschen Wirtschaft (IW))
  • FAZ, „Wie die AfD Fachkräfte und Investoren verschreckt“ (15.10.2023). (FAZ.NET)
  • DeZIM-Institut, „Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne“ (Studie, 2024, PDF). (dezim-institut.de)
  • Deutschlandfunk (Dossier), Abwanderung und AfD – Überblick & Einordnung (16.09.2024). (Deutschlandfunk)
  • IW-Analyse zur Ost-Wirtschaftskraft/Investitionen – aktuelle Berichterstattung zur Ost-West-Lücke. (DIE WELT)