Entscheidungsschwäche ist kein Standortvorteil
Ein aktueller Bericht der Süddeutschen Zeitung über den Unternehmer Marco Scheel, der mit seiner Firma Nordwolle in Norddeutschland ein nachhaltiges Textilunternehmen etablieren möchte, zeigt exemplarisch, mit welchen strukturellen Hürden wirtschaftliche Vorhaben in Deutschland konfrontiert sind. Der Fall verdeutlicht, dass die Herausforderungen weniger bei fehlendem Kapital oder mangelnder Nachfrage liegen – sondern vielfach in langsamen, fragmentierten und absicherungsorientierten Entscheidungsprozessen, insbesondere in Behörden und teilweise auch in Unternehmen.
Zwischen Regelorientierung und Entscheidungslücke
Die Stärke des deutschen Wirtschaftsmodells lag über Jahrzehnte in normierter Qualität, Rechtssicherheit und einer auf Konsens ausgerichteten Unternehmenskultur. Dieses Modell hat vor allem im Industriezeitalter gut funktioniert, weil es auf Stabilität und Planbarkeit ausgerichtet war. Inzwischen jedoch hat sich das wirtschaftliche Umfeld grundlegend gewandelt: Dynamik, Geschwindigkeit und Innovationsfähigkeit sind in vielen Branchen erfolgskritisch geworden.
Gerade an Schnittstellen wie dem Baugenehmigungsrecht oder bei der Gründung neuer Unternehmen zeigt sich jedoch ein Trend zur Vermeidung von Verantwortung und Risiko, der nicht nur administrativ, sondern auch kulturell bedingt ist. Wenn Genehmigungsverfahren scheitern, weil beispielsweise digitale Formulare keine historischen Baumaterialien abbilden oder Entscheidungen durch Zuständigkeitsunklarheiten verzögert werden, stellt dies nicht nur Einzelfälle dar – sondern ein systemisches Problem.
Empirische Evidenz: Defensives Entscheiden statt Gestaltungswillens
Forschungsarbeiten, u. a. der Max-Planck-Gesellschaft, zeigen, dass in deutschen Organisationen eine hohe Neigung zu „defensiven Entscheidungen“ besteht – also Entscheidungen, die vorrangig dem Selbstschutz dienen, nicht der Zielerreichung der Organisation. In öffentlichen Einrichtungen trifft dies auf etwa 25 % der Fälle zu, in Banken laut Studienlage auf bis zu 60 %.
Die Ursachen liegen u. a. in:
- einer ausgeprägten Fehlervermeidungskultur
- unklaren Haftungsrisiken
- komplexen regulatorischen Anforderungen
- einem Mangel an Anreizstrukturen für eigenverantwortliches Handeln
Diese Faktoren führen dazu, dass Innovationszyklen länger werden, Projekte verzögert oder blockiert werden und volkswirtschaftlich wertvolle Vorhaben oft nicht zur Umsetzung gelangen.
Regulierung und psychologische Sicherheit als Stellgrößen
Deutschland verfügt über ein weltweit anerkanntes Maß an Rechtsstaatlichkeit und Transparenz in Verfahren. Das ist ein Standortvorteil – sofern Prozesse funktional bleiben. In der Praxis jedoch wächst die Zahl der Regelwerke, Checklisten und Verfahrensschritte kontinuierlich. Damit steigt das Risiko, dass Zuständigkeiten unklar bleiben und Akteure sich auf Verfahrenskonformität statt auf Zielerreichung konzentrieren.
Ein Lösungsansatz liegt in der Förderung psychologischer Sicherheit, also der Bereitschaft, in einem organisatorischen Rahmen auch bei Unsicherheit verantwortungsvoll zu handeln. Internationale Konzerne wie Bayer setzen inzwischen gezielt auf flachere Hierarchien und vereinfachte Entscheidungsstrukturen, um Innovationsprozesse zu beschleunigen. Dort werden Entscheidungsbefugnisse klar zugewiesen, verbunden mit Fehlertoleranz und Lernmechanismen.
Reformbedarf auf zwei Ebenen
Der aktuelle Befund legt nahe, dass Reformen auf zwei Ebenen ansetzen müssen:
- Verwaltungsmodernisierung
- Beschleunigung von Genehmigungs- und Prüfverfahren
- Digitalisierung mit Entscheidungsfreiräumen statt bloßer Abbildung bestehender Prozesse
- Überprüfung redundanter oder nicht mehr zeitgemäßer Regelungen
- Führungskultur in Unternehmen
- Anreizsysteme, die verantwortliches Entscheiden belohnen
- klare Entscheidungsräume („Verantwortungsfenster“)
- Abbau von übermäßiger Kontrolle und Verlagerung hin zu zielorientierter Eigenverantwortung
Gerade in Branchen mit hohem Innovationsdruck sind Verlässlichkeit und Geschwindigkeit zwei gleichrangige Anforderungen – und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Fazit: Entscheidungsfähigkeit als Wettbewerbsfaktor
Die Fähigkeit, fundierte und zügige Entscheidungen zu treffen, wird für Deutschland zunehmend zu einem Schlüsselthema wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit. Das betrifft nicht nur einzelne Unternehmensentscheidungen, sondern die Strukturfähigkeit ganzer Sektoren – vom Wohnungsbau bis zur Digitalisierung der öffentlichen Infrastruktur.
Der Fall Marco Scheel steht damit stellvertretend für eine strukturelle Herausforderung: Wie kann Deutschland seine regelbasierte Ordnung mit mehr Flexibilität und Ermöglichungsorientierung verbinden? Die Antwort liegt nicht in einem radikalen Systembruch, sondern in einer klugen Weiterentwicklung von Verwaltungs- und Unternehmenskultur – mit klareren Verantwortlichkeiten, besserer Fehlerkultur und einem erneuerten Verständnis von Führung.
Hinweis: Basis ist ein Artikel in der SZ vom 7. Juni 25 und es wurde KI als Hilfsmittel eingesetzt.
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