Warum wir mehr als Technik brauchen – und was Bots, Plattformlogik und Vertrauen damit zu tun haben

Deutschland hat ein Digitalisierungsproblem. Die Symptome sind allseits bekannt: überlastete Verwaltungen, ineffiziente Prozesse, veraltete Infrastruktur. Die Ursachen liegen tiefer – sie reichen von strukturellen Beharrungskräften über föderale Zersplitterung bis hin zu fehlendem Veränderungswillen. Der neue Anlauf mit einem Digitalministerium unter Karsten Wildberger ist ein Schritt nach vorn. Doch um das volle Potenzial der Digitalisierung zu entfalten, braucht es mehr als Glasfaser und digitale Formulare. Es braucht ein neues Verständnis davon, wie der Staat im digitalen Zeitalter funktionieren kann.

Digitalisierung muss als tiefgreifende Modernisierung des Staates begriffen werden – nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch und kulturell. Das bedeutet: Prozesse neu denken, Schnittstellen vereinfachen, Verantwortung klarer verteilen – und in einem nächsten Schritt digitale Assistenzsysteme in den Behördenalltag integrieren.


1. Von der Behörde zum Dienstleister: Verwaltung neu denken

Viele Digitalisierungsprojekte scheitern daran, dass sie analoge Prozesse lediglich digital nachbilden. Ein schlecht strukturiertes Formular wird zur Online-Eingabemaske, ein manueller Antrag wird zur PDF. Was fehlt, ist das radikale Neudenken: Wie sieht ein Verwaltungsprozess aus, der aus Sicht der Bürger:innen einfach, verständlich und effizient ist?

Die Digitalisierung eröffnet die Chance, nicht nur Abläufe zu beschleunigen, sondern auch ihre Struktur zu verbessern. Prozesse lassen sich entbürokratisieren, Entscheidungen vorbereiten, Daten intelligent nutzen. Dafür müssen jedoch bestehende Silostrukturen überwunden und eine konsequente Nutzerzentrierung etabliert werden.


2. Digitale Assistenzsysteme: Bots als neue Schnittstelle

Ein nächster Entwicklungsschritt wäre die Einführung intelligenter digitaler Assistenten – Bots, die den Dialog zwischen Bürger:innen und Verwaltung vereinfachen. Diese Systeme könnten:

  • relevante Datenquellen bündeln,
  • auf Antragspotenziale hinweisen,
  • Formulare vorausfüllen,
  • Rechtsgrundlagen transparent machen,
  • Rückfragen antizipieren,
  • und den gesamten Ablauf strukturiert begleiten.

Solche Bots wären keine vollautomatisierten Entscheider, sondern digitale Lotsen. Sie könnten bei Baugenehmigungen, Elterngeld, Fördermitteln oder Pflegeleistungen bereits heute enorme Erleichterung bieten – wenn rechtliche Rahmen, technische Standards und vertrauenswürdige Umgebungen stimmen.


3. Plattformdenken statt Insellösungen

Damit Bots und andere intelligente Dienste funktionieren, braucht es eine andere digitale Architektur: Der Staat muss sich zur Plattform entwickeln, mit einheitlichen Identitäten, offenen Schnittstellen, interoperablen Datenregistern und standardisierten Verfahren.

Der bisherige Flickenteppich aus föderal unterschiedlichen Lösungen ist nicht zukunftsfähig. Verwaltungsleistungen müssen überall im Land nach gleichen Standards verfügbar sein – ob in Bayern oder Brandenburg, Hamburg oder Hessen. Das bedeutet: zentrale Koordination, verbindliche Standards und echte Interoperabilität.


4. Vertrauen schaffen: Transparenz, Datenschutz, Kommunikation

Technik allein schafft keinen Fortschritt. Vertrauen ist der zentrale Rohstoff der Digitalisierung. Viele Menschen begegnen neuen Anwendungen mit Skepsis – aus Sorge um ihre Daten, aus Erfahrung mit überforderten Systemen oder schlicht aus Unkenntnis.

Deshalb müssen digitale Verwaltungsprozesse nicht nur funktionieren, sondern erklärt, begleitet und transparent gemacht werden. Es braucht klare Datenschutzregeln, verständliche Schnittstellen und eine Fehlerkultur, die Fortschritt ermöglicht, ohne Sicherheit zu opfern. Nur so entsteht Akzeptanz für neue Lösungen – und die Bereitschaft, sich auf digitale Innovationen einzulassen.


5. Leuchtturmprojekte: Digitalisierung erlebbar machen

Was fehlt, ist ein sichtbares, positives Signal. Ein Leuchtturmprojekt, das zeigt, wie sinnvoll Digitalisierung sein kann – jenseits von Symbolpolitik. Ein idealer Kandidat wäre die komplette Digitalisierung des Baugenehmigungsprozesses:

  • Ein zentrales Nutzerkonto (ist schon geplant)
  • Ein digitaler Assistent, der durch die Planung und Antragstellung führt
  • Automatisierte Vorprüfung der Bauvorgaben
  • Einbindung von Geodaten und Bebauungsplänen
  • Standardisierte Kommunikation mit den Behörden

Ein solches Projekt wäre konkret, skalierbar und hoch relevant. Es würde zeigen, dass Digitalisierung nicht abstrakt ist, sondern spürbare Erleichterung bringt – für Bürger:innen, Unternehmen und Verwaltungen gleichermaßen.


6. Was das Digitalministerium jetzt leisten muss

Das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung hat eine historische Chance – aber auch eine große Verantwortung. Es braucht:

  • eigene Steuerungsmacht, nicht nur beratende Rolle,
  • ein starkes Budget, um Pilotprojekte anzustoßen,
  • klare Mandate, um Standards verbindlich festzulegen,
  • und politische Rückendeckung, wenn föderale oder ressortspezifische Interessen blockieren.

Zudem sollte das Ministerium agil arbeiten, mit iterativen Prozessen, offenen Beteiligungsformaten und der Bereitschaft zum pragmatischen Scheitern. Statt langjähriger Großprojekte braucht es schnell wirksame, testbare Lösungen.


7. Und was ist mit den Menschen in den Behörden?


Die Sorge, dass intelligente Systeme Arbeitsplätze gefährden, ist nachvollziehbar – aber sie greift zu kurz. Digitalisierung in der Verwaltung soll nicht Menschen ersetzen, sondern sie entlasten. Sie nimmt den Formularstapel, nicht die Entscheidung. Sie strukturiert Prozesse, aber ersetzt nicht das menschliche Urteil. Die Verwaltung der Zukunft braucht Menschen – aber andere Rollen, neue Fähigkeiten, mehr Gestaltungsfreiheit. Darauf muss sich der Staat nicht nur technisch, sondern auch kulturell vorbereiten.

Fazit: Der Staat der Zukunft ist nicht nur digital – er ist intelligent

Digitalisierung darf nicht an der Oberfläche verharren. Sie muss in die Tiefe gehen – in die Struktur, die Kultur und die Interaktion zwischen Staat und Gesellschaft. Intelligente digitale Systeme wie Bots können dabei helfen, den Staat vom reaktiven Verwalter zum proaktiven Dienstleister weiterzuentwickeln.

Doch das gelingt nur, wenn wir Prozesse radikal vereinfachen, Daten sinnvoll strukturieren und Verantwortung mutig neu verteilen. Der intelligente Staat beginnt nicht mit Technologie – er beginnt mit einem klaren Ziel: Verwaltung ist eine Dienstleistung und nicht nur Verwaltungsakt.

Wenn dieser Anspruch ernst genommen wird, kann Deutschland vom digitalen Nachzügler zum Vorbild für einen modernen, resilienten und bürgernahen Staat werden.