China dreht Europa den Hahn zu
Ein doppelter Weckruf für Europa
Was sich derzeit in Deutschland und Europa abzeichnet, ist mehr als eine Lieferkettenstörung. Es ist ein geopolitischer Realitätscheck. China nutzt gezielt seine Macht über kritische Rohstoffe und Technologien, um wirtschaftlichen und strategischen Druck aufzubauen. Betroffen sind nicht nur deutsche Autohersteller – sondern zunehmend auch die Rüstungsindustrie. Und erneut gilt: Europa hat die Warnzeichen jahrelang ignoriert.
Während in Berlin über Sondervermögen, Investitionsprogramme und Standortstrategien debattiert wird, entscheidet sich anderswo längst, ob Europas industrielle und militärische Basis überhaupt handlungsfähig bleibt. Ohne Halbleiter, Germanium und Seltene Erden steht nicht nur das Fließband – sondern auch das Radargerät still.
Die Autoindustrie gerät ins Schlingern
Die erste Front der Krise: der Lieferstopp von Chips des Herstellers Nexperia. Nach einer politischen Intervention in den Niederlanden – auf Druck der USA – entzog die Regierung dem chinesischen Eigentümer von Nexperia de facto die Kontrolle über das Unternehmen. Die Reaktion aus Peking: Exportstopp von Mikrochips.
Was auf den ersten Blick wie ein isolierter Fall wirkt, hat enorme Konsequenzen. In einem modernen Auto sind bis zu 3000 Halbleiterbauteile verbaut, in Elektroautos noch mehr. Sie steuern alles – vom ABS bis zur Ladeelektronik. Ohne sie läuft kein Band mehr. Zulieferer wie Bosch und ZF schlagen bereits Alarm, bereiten Kurzarbeit vor und sehen sich mit explodierenden Preisen konfrontiert.
Die Chipkrise trifft das Herz der deutschen Industrie inmitten einer historischen Transformation: Milliarden werden in neue Elektroplattformen investiert – doch es fehlen ausgerechnet die Bauteile, die diese Transformation technisch ermöglichen. Und weil Zertifizierungen, Umrüstungen und alternative Quellen Monate bis Jahre dauern, ist ein Produktionsstopp in naher Zukunft keine dystopische Theorie, sondern eine akute Gefahr.
Die Rüstungsindustrie zittert leise
Kaum im öffentlichen Diskurs angekommen ist die zweite Front: die Verwundbarkeit der deutschen Verteidigungsindustrie.
Die Parallele zur Autoindustrie ist erschreckend: Auch hier ist die Abhängigkeit von asiatischen Lieferketten enorm – insbesondere von China und Taiwan. Rund 60 % aller Halbleiter kommen aus Taiwan. Sollte dort die Lage eskalieren, stünde auch Europas Fähigkeit zur Selbstverteidigung unter technologischem Schock.
Besonders kritisch: der Rohstoff Germanium, unerlässlich für Nachtsichttechnik, Radarsysteme und moderne Kommunikationsgeräte. Gefragt ist er etwa im neuen Rheinmetall-System „Skyranger“ – und kommt nahezu ausschließlich aus China.
Zwar erklären Unternehmen wie Hensoldt oder Rheinmetall, sich strategisch vorbereitet zu haben, mit Vorräten und alternativen Lieferanten. Doch diese Aussagen klingen beruhigend – nicht beruhigend fundiert. Schon die Erfahrung mit Gas aus Russland sollte gelehrt haben: Wenn geopolitische Gegner die Hand am Hahn haben, ist „strategische Lagerhaltung“ keine Sicherheit – sondern ein Spiel auf Zeit.
Die neue Waffe heißt Lieferstopp
China hat in den letzten Wochen gezielt Exportkontrollen für kritische Rohstoffe verschärft – darunter Gallium, Germanium, Seltene Erden, Superharte Materialien, Batterierohstoffe und Grafit. Die Botschaft ist klar: Wer Chinas Interessen verletzt, bekommt es wirtschaftlich zu spüren.
Diese Politik ist nicht neu. Schon 2010 hatte China Japan für zwei Monate von Seltenen Erden abgeschnitten – mit massiven Folgen für Produktion und Preise. Japan reagierte konsequent: mit strategischen Reserven, neuen Explorationsprojekten und Investitionen in Recycling und Substitution.
Europa hingegen diskutiert noch. Die geplante Chinareise des CDU-Außenpolitikers Wadephul wurde abgesagt, weil China keine hochrangigen Gespräche ermöglichen wollte. Ein symbolischer Tiefpunkt – und ein geopolitisches Alarmsignal.
Ein strukturelles Versagen
Es ist bezeichnend: Jahrzehntelang hat Europa Kernbereiche seiner industriellen Wertschöpfung ausgegliedert – angetrieben von kurzfristiger Effizienz, niedrigen Umweltstandards im Ausland und einem globalistischen Glauben an offene Märkte.
Rohstoffabbau, seltene Metalle, Hochtechnologie – all das wurde systematisch verlagert. Nicht weil es unmöglich wäre, es in Europa zu machen, sondern weil es politisch unbequem oder wirtschaftlich marginal erschien.
Heute zeigt sich: Diese „Bequemlichkeits-Globalisierung“ hat uns verwundbar gemacht. Selbst für die Verteidigung existiert keine gesicherte Rohstoffbasis mehr in Europa. Das wäre in früheren sicherheitspolitischen Denkschulen unvorstellbar gewesen.
Was jetzt zu tun ist
Politik und Wirtschaft müssen endlich reagieren – und zwar entschlossen:
- Staatliche Rohstoffreserven aufbauen:
Analog zur Ölreserve braucht Europa strategische Vorräte für Germanium, Seltene Erden und Halbleiterkomponenten. - Eigenproduktion und Verarbeitung ausbauen:
Umweltrecht darf nicht länger als Ausrede für Deindustrialisierung dienen. Genehmigungsverfahren für Rohstoffabbau und Verarbeitung müssen schneller und strategischer werden. - Rohstoffpartnerschaften absichern:
Kanada, Australien, Chile und die Mongolei bieten Alternativen – wenn Europa bereit ist, faire Preise und Investitionssicherheit zu garantieren. - Technologische Resilienz stärken:
Diversifizierung, Recycling, Ersatzstoffe, europäische Halbleiterproduktion – all das darf kein Leuchtturmprojekt bleiben, sondern muss Teil einer industriellen Sicherheitsarchitektur werden. - Kritische Infrastruktur breiter definieren:
Nicht nur Energie und IT, sondern auch Materialversorgung muss unter den Schutz kritischer Infrastruktur fallen – inklusive Vorratsverpflichtungen für Schlüsselunternehmen.
Fazit: Wer verteidigen will, muss liefern können
Die Debatte über Wehrhaftigkeit, Zeitenwende und strategische Autonomie ist sinnlos, wenn die industrielle Basis nicht mitgedacht wird. Es braucht keine Panik – aber einen nüchternen Blick auf die Realität:
Ohne Chips keine Fahrzeuge, ohne Germanium keine Nachtsicht, ohne seltene Erden keine moderne Verteidigung.
China hat längst verstanden, wie man wirtschaftliche Abhängigkeit in strategische Hebel verwandelt. Europa hat es zu lange ignoriert.
Es ist höchste Zeit, nicht nur über Abhängigkeiten zu reden – sondern sie konkret abzubauen. Sonst bleibt von der viel zitierten „Zeitenwende“ am Ende nicht viel mehr als ein Zitat.
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