Stablecoins in der Zwickmühle
Stablecoins gelten als das Bindeglied zwischen traditionellem Finanzsystem und Kryptowelt. Sie sind an reale Vermögenswerte – meist den US-Dollar – gekoppelt und sollen Preisstabilität bieten, wo Bitcoin & Co. schwanken. Doch gerade diese vermeintliche Stabilität birgt Risiken. Auf diesem Blog habe ich mehrfach über Stablecoins geschrieben – zumeist eher optimistisch, weil sie ja sehr bedeutend sind, aber vielleicht auch etwas naiv. Das Momentum neuerer Technologien in der Finanzwelt wird häufig überbewertet; dies ist nicht weiter tragisch, weil die Diskussionen um die Folgen dieser Technologie genau diese Technologie ins rechte Licht rücken.
Der französische Nobelpreisträger Jean Tirole warnte in der Financial Times vom 1.9.25 eindringlich: Ohne strenge Regulierung könnten Stablecoins im Krisenfall staatliche Rettungspakete erzwingen – finanziert von den Steuerzahlern. Doch diese Gefahr ist nicht überall gleich groß. Während die USA unter Präsident Donald Trump Stablecoins aktiv in das Mainstream-Finanzsystem integrieren, hat die EU mit der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA) einen strengen Rechtsrahmen geschaffen – und bereitet zugleich den digitalen Euro als Alternative vor.
Die Illusion der Sicherheit
Stablecoins wie Tether (USDT) oder Circle (USDC) werden durch Reserven – überwiegend US-Staatsanleihen – gedeckt. Sie sollen Anlegern die Sicherheit geben, jederzeit gegen US-Dollar eingelöst werden zu können. In der Praxis wirken sie wie „digitale Bankeinlagen“.
Doch Jean Tirole macht auf die Schein-Sicherheit aufmerksam:
- Anders als bei Bankeinlagen existieren keine Einlagensicherungssysteme.
- Bei einem Run könnten Anleger ihre Stablecoins massenhaft einlösen wollen.
- Weil Staatsanleihen oft nur geringe oder negative Realrenditen bieten, könnten Emittenten in riskantere Assets ausweichen – mit schwerwiegenden Folgen.
Sein Szenario: Sollte ein großer Stablecoin ins Wanken geraten, entstünde politischer Druck, die Verluste zu sozialisieren. Steuerzahler würden also private Risiken auffangen – wie schon bei Bankenkrisen.
USA: Marktöffnung mit Risiken
Die USA haben im Sommer 2025 den Weg frei gemacht: Banken dürfen eigene Stablecoins herausgeben, gedeckt durch US-Staatsanleihen. Präsident Trump sieht darin ein Instrument, um den Dollar als Leitwährung auch digital zu sichern.
Der US-Ansatz im Überblick:
- Marktgetrieben: Banken und private Anbieter haben großen Spielraum.
- Dollar-Stärkung: Stablecoins sollen die globale Reichweite der US-Währung verfestigen.
- Politische Nähe: Mitglieder der Trump-Regierung und seiner Familie unterstützen Stablecoin-Projekte wie den USD1.
Risiken:
- Interessenkonflikte erschweren unabhängige Aufsicht.
- Es gibt keine Einlagensicherung, Anleger tragen Verlustrisiken allein.
- Ein Crash könnte staatliche Bailouts erzwingen, um Millionen Anleger nicht im Regen stehen zu lassen.
Hier setzt Tiroles Warnung am schärfsten an: Die USA riskieren, mit Stablecoins eine Quasi-Bankfunktion ohne hinreichende Absicherung aufzubauen.
Europa: MiCA und der digitale Euro
Die Europäische Union hat mit der MiCA-Verordnung bereits 2023 die weltweit erste umfassende Regulierung für Kryptowährungen beschlossen. Seit 2024 wird sie schrittweise wirksam. Stablecoins – in MiCA als E-Geld-Token (EMT) und wertreferenzierte Token (ART) kategorisiert – unterliegen besonders strengen Regeln.
Kernelemente von MiCA:
- Lizenzpflicht: Nur beaufsichtigte Institute in der EU dürfen Stablecoins ausgeben.
- Reserven: 1:1-Deckung mit klaren Vorgaben zur getrennten Verwahrung.
- Transaktionslimits: Für nicht-eurobasierte Stablecoins gelten Beschränkungen, um die Dollar-Dominanz zu begrenzen.
- Aufsicht: Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) überwacht systemisch relevante Emittenten.
- Anlegerschutz: Haftungsregeln sichern Anleger im Ernstfall besser ab.
Der digitale Euro als Antwort
Parallel zu MiCA arbeitet die Europäische Zentralbank am digitalen Euro. Er ist als staatlich garantierte, digitale Zentralbankwährung konzipiert, die im Gegensatz zu Stablecoins kein Emittentenrisiko kennt.
Besonders spannend ist die Möglichkeit der Programmierung:
- Zahlungen könnten zweckgebunden sein (z. B. nur für bestimmte Güter oder in festgelegten Zeiträumen nutzbar).
- Unternehmen könnten automatisierte Abrechnungen oder Lieferketten-Zahlungen realisieren.
- Bürger hätten eine sichere digitale Alternative zu Stablecoins, abgesichert durch die EZB.
Damit verfolgt die EU eine Doppelstrategie:
- Private Stablecoins unter MiCA regulieren.
- Mit dem digitalen Euro eine öffentliche Alternative anbieten.
So soll verhindert werden, dass der europäische Zahlungsverkehr einseitig in die Abhängigkeit von US-Dollar-Stablecoins gerät.
USA vs. Europa im Vergleich
| Aspekt | USA | Europa (MiCA & digitaler Euro) |
| Politik | Pro-Stablecoin, Förderung durch Trump | Vorsichtig, Stabilität & Euro im Fokus |
| Regulierung | Marktgetrieben, wenige Restriktionen | Streng, Lizenzpflicht & klare Auflagen |
| Aufsicht | Fragmentiert, Interessenkonflikte möglich | Einheitlich, EBA + nationale Behörden |
| Anleger-Schutz | Keine Einlagensicherung | Haftungsregeln & Schutzmechanismen |
| Währungspolitik | Dollar-Dominanz sichern | Euro vor Dollar-Übermacht schützen |
| Digitale Strategie | Private Token dominieren | Digitaler Euro als öffentliche Alternative |
| Bailout-Risiko | Hoch, wahrscheinlich im Crash-Szenario | Geringer, durch Regeln und CBDC abgefedert |
Gemeinsame Risiken
Auch mit MiCA und dem digitalen Euro bleibt Europa nicht völlig immun. Stablecoins sind global verflochten:
- Ein Crash von Tether oder USDC in den USA hätte unmittelbare Folgen für europäische Märkte.
- US-Dollar-Stablecoins dominieren den Handel mit Kryptowährungen und könnten trotz Regulierung die geldpolitische Steuerung der EZB schwächen.
Die große offene Frage bleibt: Kann der digitale Euro in der Praxis ausreichend Akzeptanz finden, um eine attraktive Alternative zu privaten Stablecoins zu werden?
Fazit
Jean Tiroles Warnung trifft vor allem die USA. Dort droht die Kombination aus politischer Nähe, schwacher Aufsicht und wachsender Marktbedeutung, Stablecoins zu einem systemischen Risiko zu machen, das im Ernstfall staatliche Rettungen erzwingt.
Europa hat mit MiCA einen regulatorischen Puffer geschaffen – und geht mit dem digitalen Euro noch einen Schritt weiter. Er bietet eine staatlich garantierte, programmierbare Alternative zu privaten Stablecoins. Damit verfolgt Europa nicht nur ein Stabilitätsziel, sondern auch eine souveränitätspolitische Strategie: den Euro im digitalen Zeitalter zu sichern.
Die zentrale Frage bleibt: Werden sich Marktteilnehmer eher an private Dollar-Stablecoins binden – oder schafft es Europa, mit MiCA und digitalem Euro ein eigenes digitales Geld-Ökosystem aufzubauen?
Schreibe einen Kommentar