Ein kritischer Blick auf die neue Eskalation zwischen den USA und der EU – und auf Europas gefährliches Abwarten.


Einleitung: Der 30-Prozent-Schock

Als Donald Trump am Samstag auf seiner Plattform Truth Social einen höflich formulierten Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen veröffentlichte, ahnte man bereits, dass der Ton täuschen könnte. Denn nur wenige Zeilen später ließ er die Bombe platzen: Ab dem 1. August werde ein pauschaler Importzoll von 30 Prozent auf alle Güter aus der EU erhoben. Und sollte die EU mit Gegenzöllen reagieren, werde man den Satz noch einmal um 30 Prozent erhöhen.

Was zunächst wie ein weiterer Ausbruch aus Trumps politischem Arsenal der Verunsicherung wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gefährliche Eskalation eines längst schwelenden Konflikts – mit potenziell verheerenden ökonomischen Konsequenzen für Europa, insbesondere für die exportabhängige deutsche Industrie.


Trump versteht nur Härte – und testet Europas Schwäche

Donald Trumps Wirtschaftspolitik folgt einem einfachen Prinzip: Verhandlung durch Erpressung. Zölle sind für ihn kein ökonomisches Instrument, sondern politische Waffe. Die EU mag hoffen, dass bis zum 1. August ein Kompromiss möglich ist – doch Trumps Vorgehen zeigt, dass er keine Abkommen sucht, sondern maximalen Druck.

Trump ist nicht an multilateralen Lösungen interessiert. Für ihn zählt allein der bilaterale Machtgewinn – sichtbar auch in der offenen Drohung, im Falle europäischer Gegenmaßnahmen „den Zoll noch einmal um denselben Prozentsatz zu erhöhen“. Das ist keine Verhandlungstaktik mehr, das ist ökonomische Kriegsführung.


Die EU: Viel Rhetorik, keine Antwort

Die Antwort der EU auf Trumps Eskalation ist bislang bemerkenswert schwach. Statt mit klarer Haltung zu reagieren, setzte Brüssel das geplante Vergeltungspaket über 21 Mrd. US-Dollar aus. Ursula von der Leyen erklärte, man hoffe auf eine Einigung. Auch der deutsche Vizekanzler Lars Klingbeil plädiert für „ernsthafte und zielgerichtete Verhandlungen“. Nur: Verhandeln kann man nur, wenn beide Seiten ernsthaft daran interessiert sind.

Noch schwerer wiegt das strategische Dilemma: Die EU verfügt zwar über Machtmittel, etwa im Dienstleistungsbereich – dort ist sie gegenüber den USA im Importdefizit – doch sie nutzt sie nicht. Der Medien-, Finanz- und IT-Sektor wäre ein möglicher Hebel. Doch Brüssel und die Hauptstädte schrecken zurück. Die Angst vor einem umfassenden Handelskrieg lähmt die politische Handlungsfähigkeit.


Wirtschaftliche Folgen: Deutschland trifft es besonders hart

Die deutsche Wirtschaft steht im Zentrum des transatlantischen Handels. Maschinenbau, Automobilindustrie, Chemie – all das hängt an US-Exporten. Bereits heute sind laut Schätzungen rund 70 Prozent der EU-Güterexporte in die USA von bestehenden US-Zöllen betroffen – das entspricht einem Warenwert von 370 Milliarden Euro.

Ein pauschaler 30-Prozent-Zoll auf alle Importe aus Europa wäre ein verheerender Schlag. Besonders betroffen wäre der deutsche Mittelstand, der auf margenarme Exporte in die USA angewiesen ist. Der Maschinenbau-Verband (VDMA) warnt bereits: Während 10-Prozent-Zölle wirtschaftlich noch verkraftbar seien, gefährde ein 30-Prozent-Zoll die Existenz vieler Betriebe.

Laut Ökonomen könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um rund ein halbes Prozent schrumpfen – in einer Phase, in der die Konjunktur ohnehin stagniert. Ein von der Bundesregierung geplantes schuldenfinanziertes Ausgabenpaket, das 2026 ein Wachstum von etwa einem Prozent ermöglichen soll, würde durch Trumps Zölle zur Hälfte neutralisiert.


Warum schweigt Europa bei Dienstleistungen?

Ein besonders irritierender Aspekt in der europäischen Strategie ist das vollständige Ausklammern des Dienstleistungssektors. Die EU importiert überproportional viele US-Dienstleistungen – von Streamingdiensten wie Netflix, über Cloudanbieter wie Amazon AWS, bis zu Finanzdienstleistungen amerikanischer Großbanken. Derartige Anbieter könnten im Fall von Gegenmaßnahmen ins Visier genommen werden. Rechtliche Grundlagen gäbe es – aber politisch wagt niemand diesen Schritt.

Was fehlt, ist nicht nur Mut, sondern auch eine strategische Vision. Statt sich als gleichwertiger Partner in einem geopolitischen Konflikt zu positionieren, klammert sich Europa an die Hoffnung, der Sturm werde vorüberziehen, wenn man sich still verhält.


Trump kalkuliert mit Europas Uneinigkeit

Ein Teil von Trumps Kalkül besteht darin, dass er die Zerstrittenheit der EU einkalkuliert – und regelmäßig bestätigt bekommt. Einzelne Mitgliedstaaten verfolgen eigene Interessen, nationale Wirtschaftssektoren fürchten gezielte US-Gegenmaßnahmen. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz kritisierte jüngst das „zögerliche und komplizierte“ Vorgehen der Kommission – ein Angriff auf die EU-eigene Verhandlungsführerin.

Solche Querschüsse untergraben nicht nur die Verhandlungsposition Europas, sie machen es auch für Washington leichter, Europa weiter unter Druck zu setzen. Solange keine einheitliche europäische Antwort existiert, bleibt Brüssel ein zahnloser Akteur.


Historischer Rückblick: Handelskriege als Auslöser von Krisen

Historisch betrachtet sind Handelskriege selten harmlos geblieben. Die Smoot-Hawley-Zölle in den USA zu Beginn der 1930er Jahre gelten als Mitverursacher der weltweiten Depression. Die Eskalation von Handelskonflikten führt nicht nur zu höheren Preisen und geringerer Produktvielfalt – sie untergräbt internationale Lieferketten, schwächt das Vertrauen von Unternehmen in Investitionen und destabilisiert Währungs- und Kapitalmärkte.

Trumps Vorgehen trägt genau diese Merkmale. Er nutzt Zölle nicht als Schutzinstrument, sondern als ökonomische Waffe mit geopolitischer Schlagkraft – ganz nach dem Motto: „America First – at any cost.“


Was müsste Europa jetzt tun?

Eine realistische europäische Strategie müsste aus drei Komponenten bestehen:

  1. Klarheit und Transparenz: Die EU muss offen kommunizieren, welche wirtschaftlichen Folgen Trumps Zölle haben – und wie hoch die Verluste für europäische Arbeitsplätze ausfallen könnten.
  2. Geschlossenheit demonstrieren: Nur eine einheitlich agierende EU-Kommission kann ernsthafte Verhandlungen führen. Nationale Alleingänge untergraben jede Verhandlungsmacht.
  3. Druckmittel sichtbar machen: Die EU sollte deutlich machen, dass sie im Dienstleistungsbereich über schlagkräftige Werkzeuge verfügt – und bereit ist, diese einzusetzen, falls die USA nicht einlenken.

Langfristig müsste die EU auch über Alternativen zum amerikanischen Markt nachdenken – etwa durch Handelsabkommen mit Lateinamerika, Indien oder Afrika. Aber kurzfristig führt kein Weg an einer entschlossenen Antwort vorbei.


Fazit: Vom Handelskrieg zum Wirtschaftsdesaster

Wenn Trump seine Zollpolitik durchzieht, steht Europa – und vor allem Deutschland – vor einer tiefen wirtschaftlichen Zäsur. Was mit einem Brief begann, könnte sich als ökonomischer Flächenbrand entpuppen. Die EU darf nicht weiter auf Zeit spielen, sondern muss jetzt handeln.

Trumps Strategie basiert auf dem Glauben, dass seine Gegner einknicken. Wenn Europa sich dieser Logik beugt, werden nicht nur Unternehmen und Arbeitsplätze verlieren – sondern auch die Vorstellung eines geeinten, handlungsfähigen Europas. Es geht um mehr als Zollpolitik. Es geht um wirtschaftliche Selbstbehauptung im 21. Jahrhundert.


Hinweis für Leser: Wer sich näher über die bestehenden Zölle und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen informieren möchte, dem sei die aktuelle Übersicht der EU-Kommission zum transatlantischen Handel empfohlen. Zahlen und wirtschaftliche Modelle zur BIP-Auswirkung sind in den jüngsten Berichten des ifo-Instituts und der OECD abrufbar:

Quellenliste

  1. EU-Kommission – Handelsdaten EU–USA
    EU-Seite zu Handelsbeziehungen, Zöllen und laufenden Verhandlungen:
    https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-region/countries-and-regions/united-states_en
  2. ifo Institut – Wirtschaftliche Auswirkungen von Zöllen
    „Trump-Zölle könnten BIP in Deutschland um 0,3 % senken“ (April 2025):
    https://www.ifo.de/en/press-release/2025-04-03/trump-zoelle-koennten-bip-reduzieren
  3. ifo Institut – Analyse der US-Zollpolitik
    „Trumps Zölle schaden auch der US-Wirtschaft“ (Juni 2025):
    https://www.ifo.de/en/press-release/2025-06-02/trumps-tariff-policy-damaging-us-economy
  4. Bruegel Think Tank – Modellrechnungen zu EU-BIP-Verlusten
    Einschätzung möglicher volkswirtschaftlicher Effekte für EU und USA:
    https://www.bruegel.org/analysis/economic-impact-trumps-tariffs-europe-initial-assessment
  5. OECD – Economic Outlook Juni 2025
    Prognosen zu globalen Zolleffekten auf Wachstum und Inflation:
    https://www.oecd.org/en/publications/2025/06/oecd-economic-outlook-volume-2025-issue-1_1fd979a8